«Wir müssen wieder zu einer gewissen kollektiven Weisheit zurückfinden.»

Am 1. Oktober übernahm Guillaume Favre-Bulle als Nachfolger von Raphaël Mayoraz die Leitung der Dienststelle Naturgefahren (DNAGE). Zwischen Klimawandel, urbanem Druck und Erwartungen an die Sicherheit spricht er sich für eine gemeinsame Kultur des Risikos und ein integriertes Management des Territoriums aus. Interview.

G uillaume Favre-Bulle ist 43-jährig und kennt die Herausforderungen des Wallis in Bezug auf die Naturgefahren. 2017 begann er seine Tätigkeit in der Kantonsverwaltung. Ein Jahr später wurde ihm die Verantwortung der Sektion Geologische Gefahren und Ressourcen des Untergrunds anvertraut. Anfang Oktober 2025 übernahm er von Raphaël Mayoraz die Direktion der DNAGE. Diese Dienststelle steht im Fall von Überschwemmungen, Erdrutschen oder Lawinen an vorderster Front und muss sich sowohl mit dem Management von Notfallsituationen als auch mit einer langfristigen Prävention befassen. Für ein besseres Verständnis der Prioritäten der Dienststelle stellt der Verantwortliche die aktuelle Situation des Wallis vor, die von Gefahren geprägt ist, deren Intensität und Häufigkeit zunehmen. Gleichzeitig wird die Problematik durch eine Gesellschaft verschärft, die weniger Risiken toleriert und gleichzeitig von einem ständigen Zugang zum Gebirge profitieren möchte.

Gemeinsam Bauen: Welche wichtigen Dossiers hat Ihnen Raphaël Mayoraz übergeben?

Guillaume Favre-Bulle: Zusätzlich zur 3. Rhonekorrektion betreut die DNAGE laufend rund 800 andere Dossiers. Die wichtigste Aufgabe besteht deshalb darin, die Kontinuität dieser Projekte sicherzustellen: Gefahrenkarte, Überwachungsprojekte und Schutzbauten, die noch zu realisieren sind. Aufgrund der intensiven Ereignisse, die das Wallis vor Kurzem erlebte – Überschwemmungen durch die Rhone im vergangenen Jahr, die Situation in Blatten in diesem Jahr oder im Dorf Lourtier im Val de Bagnes –, arbeitet unsere Dienststelle ständig im Krisenmodus. Dadurch werden ausserordentlich viele menschliche, technische und finanzielle Ressourcen mobilisiert, was das Management der übrigen Projekte, an denen wir arbeiten, erschwert.

Wie sehen die Herausforderungen für den Gebirgskanton Wallis aus?

Wir leben heute in einem gewissen Gegensatz: Die Gesellschaft strebt einerseits ein «Nullrisiko» an und verlangt andererseits sowohl während der Freizeit als auch während eines Aufenthalts einen ständigen Zugang zum Gebirge. Gleichzeitig intensivieren und vermehren sich aufgrund des Klimawandels extreme Wetterlagen wie heftige Gewitter und Niederschläge, die zu Murgängen, instabilem Gelände und anderen Problemen führen. Dazu kommt der Druck der Wohnungsnot: Gewisse Personen suchen Bauland in exponierten Zonen. Die grosse Herausforderung besteht also darin, für die Bevölkerung das höchste Sicherheitsniveau zu garantieren und gleichzeitig all diese Elemente zu berücksichtigen.

Welche Faktoren beeinflussen heute die Risikoexposition am stärksten?

Hauptsächlich handelt es sich um die Tatsache, dass wir an die Grenzen einer rein technischen Antwort stossen. Wir können nämlich nicht überall betonieren, um Schutzbauten zu erstellen. Wir müssen deshalb wieder zu einer Risikokultur zurückfinden und begreifen, dass das Gebirge niemals vollständig beherrschbar sein wird. Die «Auswirkungen von Internet und sozialen Netzwerken» können ausserdem dazu führen, dass man sich Risiken aussetzt, um spektakuläre Ereignisse zu filmen. Wir müssen deshalb wieder zu einer gewissen kollektiven Weisheit zurückfinden.

Wie kann die Bevölkerung am besten geschützt werden?

Die erste Achse betrifft die Raumplanung. In diesem Zusammenhang spielen die Gefahrenkarten eine zentrale Rolle. Aber diese Achse wurde vor allem nach dem alpinen Immobilienboom in den 1950er-Jahren entwickelt und entspricht nicht mehr der aktuellen Lage. Wir müssen deshalb die Bewohner dort schützen, wo sie wohnen. Dies geschieht durch Überwachung, vorübergehende Schliessung von Strassen, den Bau und den Unterhalt von Schutzbauten und schliesslich die Erarbeitung von Alarm- und Evakuierungsplänen. Das Ziel besteht darin, das Risiko technisch und finanziell auf ein akzeptables Niveau zu senken.

Wie kann man, insbesondere im Tourismus, Sicherheit und wirtschaftliche Herausforderungen in Einklang bringen?

Diesbezüglich hat der Bund klare Vorschriften erlassen: Ein investierter Franken muss den Wert eines Frankens schützen und das Risiko für die Bevölkerung ist zu begrenzen. Wir müssen deshalb für die Schlüsselregionen und -werke Schutzbauten erstellen. Dazu benötigen wir natürlich die entsprechenden menschlichen, technischen und finanziellen Ressourcen. Und wir leiden heute unter einem grossen Mangel an Fachingenieuren. Ausserdem war es nach den Überschwemmungen im letzten Jahr aufgrund der Notfalleinsätze an den Wasserläufen im gesamten Kanton schwierig, genügend Baumaschinen einzusetzen, sodass sich die Realisierung der übrigen Schutzmassnahmen verzögerte.

Spielt der Wald beim Schutz vor Naturgefahren noch eine Schlüsselrolle?

Absolut. Rund 90 % der Walliser Wälder haben eine Schutzfunktion gegen Lawinen oder Steinschlag. Das steht übrigens im Gesetz und ist seit langer Zeit in unserer Kultur verankert. Der Wald stellt zudem eine natürliche und günstige Schutzinfrastruktur dar. Deshalb arbeiten wir eng mit der Dienststelle für Wald, Natur und Landschaft (DWNL) zusammen. Wenn ein Schutzwald verschwindet, kommt es zum Beispiel rasch zu Steinschlägen. Der regelmässige Austausch und die Synergien zwischen unseren beiden Dienststellen ermöglichen deshalb den Unterhalt dieser Zonen und der wichtigen Gebiete.

Welches Projekt bildet für Ihre Dienststelle die grösste künftige Baustelle?

Die 3. Rhonekorrektion. Es handelt sich um ein grosses Projekt, welches das gesamte Gebiet des Talgrunds betrifft. Wir haben es mit grösseren Herausforderungen in den Bereichen Technik, Umwelt und Sicherheit zu tun. Das Dossier ist auch spannend, da es sich im weiteren Rahmen um ein Projekt eines globalen und modernen Managements der Naturgefahren gemäss dem Grundsatz des integrierten Risikomanagements handelt.

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